Kanzlei Bellevue Emblem

Ju­ni 2021 – Bau­te oder An­la­ge?

Juni 2021 – Baute oder Anlage?

LGVE 7H 19 193 vom 16.7.2020


'Handelt es sich bei einem Lagerplatz für Gerüstteile um eine Baute oder um eine Anlage?'


Unsere Rechtsanwälte Andreas Meier und Véronique Amrein fassen im aktuellen WEKA-Newsletter Bau- und Immobilienrecht einen Entscheid aus dem Kanton Luzern, der sich mit dieser Frage beschäftigt, zusammen.


Den Beitrag finden sie hier.


Einleitende Bemerkungen

Im Kanton Luzern werden die baubewilligungspflichtigen Vorrichtungen in «Bauten» und «Anlagen» unterteilt. Die Qualifikation

als Baute oder Anlage ist u.a. von entscheidender Bedeutung für die Frage, ob und falls ja, welcher Grenzabstand einzuhalten ist. Bei Anlagen (mit Ausnahme von Einfriedungen) gelten grundsätzlich keine Grenzabstände, bei Bauten sind solche hingegen zu beachten.



Sachverhalt

Im vorliegenden Entscheid war strittig, ob ein Lagerplatz bzw. die auf dem Lagerplatz gelagerten Gerüstteile als Anlage oder als Baute zu qualifizieren waren. Der Gerüststapel wies dabei eine Gesamthöhe von vier bis fünf Metern auf und war direkt entlang einer Grundstücksgrenze angeordnet.


Die Vorinstanz hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass der streitbetroffene Lagerplatz eine Anlage darstelle, weshalb für diesen

keine Grenzabstände gelten würden. Dies begründete sie insbesondere damit, dass der Gerüststapel nicht ortsfest und die Verbindung zum Boden damit lose und von vorübergehender Natur war.


Zudem führte die Vorinstanz aus, dass sowohl der genaue Standort des Gerüststapels wie auch dessen Höhe ständig variieren würden,

weshalb der Gerüststapel weder den Durchblick verhindere noch zum Entzug von Licht und Sonne führe. Die Gerüstteile seien darüber

hinaus auch keine Mauern oder Einfriedungen bzw. hätten keine entsprechende Funktion.



Die Beschwerdeführerinnen stellten sich dagegen auf den  Standpunkt, dass der Begriff der Baute weit zu fassen sei und es sich beim Lagerplatz um eine Baute handle, weshalb der ordentliche Grenzabstand zur Anwendung gelange. Insbesondere komme es für die Qualifikation als Baute nicht darauf an, ob die Baukonstruktion über Wände und ein Dach verfüge.



Zu erwähnen ist, dass im vorliegenden Fall die Frage der Bewilligungspflicht des Lagerplatzes nicht strittig war, da der Voreigentümer des Lagerplatzes bereits ein nachträgliches

Baugesuch eingereicht hatte. Die Parteien waren sich jedoch insbesondere uneinig, welche Grenzabstände zur Anwendung gelangen sollten.


Entscheid

Einleitend verwies das Kantonsgericht in seinem Entscheid auf die Bestimmungen der anwendbaren Grenzabstände, welche für

Massiv- und Weichbauten, Kleinbauten, Unterniveaubauten sowie Mauern, Einfriedungen, Böschungen und Gewächse gelten. Danach

ging es auf die Unterscheidung Baute und Anlage ein. Im Zusammenhang mit der Qualifikation eines Bauprojekts als Baute bzw. Anlage hielt das Kantonsgericht fest, dass zwischen den beiden Begriffen keine scharfe Trennlinie bestehe. Die ständige Verwaltungspraxis qualifiziere unter dem Begriff Baute jedoch generell ein Gebäude oder eine überdachte bauliche Anlage, wenn diese Menschen, Tiere oder Sachen gegen äussere Einflüsse zu schützen

vermöge und mehr oder weniger abgeschlossen sei. Allgemein ausgedrückt liege daher eine Baute dann vor, wenn sie eine in irgendeiner Art ausgestaltete Aussenhülle aufweise, in welche etwas hineingestellt oder von der etwas herausgenommen werden könne. Als Anlagen würden hingegen insbesondere Einrichtungen bezeichnet, die das Gelände oder den umliegenden Raum verändern würden, wie beispielsweise Parkplätze, Steinbrüche, Kiesgruben, Autofriedhöfe, Campingplätze, Vitaparcours, Rampen, Bootsstege, u.a.m.


Das Kantonsgericht wies jedoch darauf hin, dass der raumplanerische Bautenbegriff in  der Praxis eher eine umfassende Bedeutung erhalten habe, und hielt fest, dass es in seiner Rechtsprechung den Begriff ebenfalls eher weit fasse. Eine Subsumtion unter den Begriff der Anlage nehme es daher nur mit Zurückhaltung vor. Das Kantonsgericht bezog sich dabei auf einen Entscheid aus dem Jahr

2011, in welchem es eine nicht überdachte Reklametafel als Kleinbaute qualifizierte, und wies darauf hin, dass das Bundesgericht diesen Entscheid geschützt habe (vgl. BGer Urteil 1C_267/2011 vom 16.9.2011). Die Ausweitung des Bautenbegriffs begründete das Kantonsgericht insbesondere mit dem Einbezug der Auswirkungen des jeweiligen Bauvorhabens auf seine Umgebung.


Das Kantonsgericht stellte sich zudem auf den Standpunkt, dass die Erscheinungsform eines Bauobjekts für die Qualifikation als Baute oder Anlage nicht ausschlaggebend sei. Es wies vielmehr darauf hin, dass es für die Qualifikation einer einlässlichen Beurteilung der konkreten Verhältnisse bedürfe. Im vorliegenden Entscheid war für das Kantonsgericht folglich die lose Verbindung des Stapels mit dem Boden im Rahmen der Qualifikation nicht entscheidend.


Zudem hielt das Kantonsgericht fest, dass es für die Qualifikation ausserdem nicht massgebend sei, ob das Bauprojekt ein Dach

aufweise oder nicht. Dabei verwies das Kantonsgericht auf das vorgenannte Urteil, in welchem das Bundesgericht zum Schluss

kam, dass die Frage, ob und wie stark störend sich eine bauliche Vorrichtung auf die Nachbarschaft auswirke, nicht in erster Linie

davon abhängig sei, ob ein Dach bestehe oder nicht (BGer Urteil 1C_267/2011 vom 16.9.2011, E. 2.3).


Gegen die Qualifikation des Stapels als Baute sprach für das Kantonsgericht einerseits die Tatsache, dass aufgrund der topografisch höheren Lage des Nachbargrundstücks die privaten Interessen an der Einhaltung der entsprechenden Grenzabstände relativierbar waren. Andererseits berücksichtigte das Kantonsgericht im Rahmen der Qualifikation aber auch den Umstand, dass der Gerüststapel auf dem Grundstück, das in der Arbeitszone lag, immer wieder Veränderungen erfährt. Aus Sicht des Kantonsgerichts handelte es sich daher beim Gerüststapel um keine Baute.


Weshalb es sich beim Gerüststapel nicht um eine Anlage handelte, ist aus dem Entscheid nicht klar ersichtlich. Es lässt sich jedoch aus dem Entscheid erschliessen, dass das Kantonsgericht den Gerüststapel wegen dessen Dimension nicht als Anlage qualifizieren wollte, da diesfalls kein Grenzabstand gelten würde. Das Kantonsgericht betont in seinem Entscheid dementsprechend wiederholt die Höhe und Lage des Gerüststapels und die damit verbundenen Auswirkungen für die

Nachbarn.


Das Kantonsgericht löste den vorliegenden Fall schlussendlich so, indem es auf ein «sui-generis»-Konstrukt zurückgriff: Das Erscheinungsbild und die Wirkung des Gerüststapels lasse auf die baurechtliche Qualifikation als Einfriedung bzw. Mauer schliessen, auch wenn dem Stapel nicht diese Funktion zukäme. Das Kantonsgericht qualifizierte somit den Gerüststapel als bauliche Anlage «sui generis» und wandte im vorliegenden Fall die Grenzvorschriften, die im Zusammenhang mit Einfriedungen und Mauern gelten, analog an.



Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Luzerner Bau- und Planungsgesetz vorsieht, dass Ausnahmen von den Grenzabständen gestattet werden können, wenn öffentliche Interessen und  schutzwürdige private Interessen nicht wesentlich beeinträchtigt werden. Das Kantonsgericht wies die Frage, ob eine solche  Ausnahmebewilligung im vorliegenden Fall erteilt werden kann, an

die Vorinstanz zurück.



Kommentar/Praxistipp

Im Kanton Luzern ist die Qualifikation als Baute, Kleinbaute oder Anlage für die Anwendbarkeit von Grenzabstandsbestimmungen von Bedeutung. Wie gesehen, kommt es in der Praxis jedoch immer wieder vor, dass sich ein Bauobjekt nicht eindeutig einer bestimmten Kategorie zuordnen lässt.


Der Gerüststapel wäre aus Sicht der Schreibenden grundsätzlich als Anlage zu qualifizieren. Dies hätte jedoch zur Folge, dass kein Grenzabstand eingehalten werden müsste, was aufgrund der Höhe und Lage des Gerüststapels stossend wäre. Um dieses Problem zu lösen, hat sich das Kantonsgericht im obgenannten Fall Abhilfe verschafft, indem es auf ein «sui-generis»-Konstrukt zurückgriff.

Dieser Rückgriff hatte zur Konsequenz, dass die Grenzabstände von Einfriedungen und Mauern zur Anwendung gelangten. Ob das Kantonsgericht somit den einfachsten Weg gewählt hat und ob der Entscheid angemessen war, kann offenbleiben.


Das Vorgehen des Kantonsgerichts soll jedoch eine Erinnerung daran sein, dass bei der Qualifikation als Baute oder Anlage die Einflüsse

des Bauobjekts auf die nachbarschaftlichen Grundstücke zu berücksichtigen sind und in der Regel nicht der Begriff an sich alleine massgebend ist. Daher ist empfohlen, im Rahmen der Qualifikation die jeweils tatsächlichen Verhältnisse und nicht nur das alleinige

Erscheinungsbild bzw. die Funktion des Bauobjekts ins Auge zu fassen, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden.

zurück zum Blog
chevrot down